18 | 06 | 2024
Elisabeth Schlögl

Das hat sich bei uns abgespielt – nicht irgendwo

Mitte Juni wurde beim zweiten Gespräch im Museum im Alten Rathaus in Eisenerz vieles erzählt – manches zum ersten Mal. Eine beeindruckende Offenheit aller 25 Teilnehmenden sorgte für große Emotionen und Haltungen – von Angst und Ekel über Freude und Hoffnung bis hin zum Unverständnis. Eine bewegende Stimmung begleitete uns über zwei Stunden – ausgehend von zwei Geschichten aus zwei Museen: dem Wunder eines Neugeborenen, das mit einer Krippe im Krippenmuseum Eisenerz gefeiert wird, und den dunklen Seiten des Menschen, wozu er fähig war und ist, wenn Gewalt und Krieg alltäglich werden, wovon Schuhe im Stadtmuseum im Alten Rathaus zeugen. Beide Geschichten spielten in derselben Landschaft – in und rund um Eisenerz.

Zu den Objektgeschichten:
Panoramakrippe, Krippenmuseum Eisenerz  
Konvolut Lederschuhe, Stadtmuseum im Alten Rathaus, Eisenerz

 

Eine Frage machte nach den Ausführungen und berührenden Darbietungen von Gerhard Niederhofer und Klaus Hochrinner die Runde: Wann und wie habt ihr das erste Mal von dieser Geschichte vom 7. April 1945 gehört, als eine große Anzahl an Jüdinnen und Juden, von Südost kommend, auf dem Weg nach Mauthausen den Präbichl und Eisenerz querten und Frauen, Männer und Kinder ihnen dabei unsägliche Gewalt antaten:

 "Meine Lehrer waren noch typische Nazi." "In der Schule wurde über den Zweiten Weltkrieg im Geschichtsunterricht nicht gesprochen, der hörte bei den Napoleon-Kriegen auf." Mehrere Teilnehmer*innen berichten über das Schweigen in der Schulzeit.

 

"Im Zuge des Wettbewerbs für das Mahnmal am Präbichl Anfang der 2000er habe ich das erste Mal davon gehört, was hier passierte." Jährlich findet ein Lebensmarsch rund um das Mahnmal statt, um die Geschehnisse nicht zu vergessen und vor allem den nachfolgenden Generationen zu vermitteln, wozu Menschen wie du und ich fähig sind, wenn Hetze und Gewalt regieren.

 

"Da haben sich Dinge abgespielt, da fragt man sich, wo bleibt die Menschlichkeit …" Gerhard Niederhofer, ehrenamtlicher Mitarbeiter im Stadtmuseum, leitet seine Erzählungen ein, die er mit seinen Zeitzeugen-Interviews sammelt.

Fotos: UMJ/Elisabeth Schlögl

"Ich war mit meiner Schulklasse in Mauthausen, dort las ich das erste Mal von einem Außenlager in Eisenerz. Ich konnte nicht fassen, was bei mir zu Hause geschehen war." Eine Lehrerin erzählte, die weder in ihrer Schulzeit noch in der Ausbildung zur Lehrkraft von den Ereignissen hörte.

 

"Mein Vater war ein begeisterter Nazi und ein Christ. Meine Oma eine herzensliebe Frau und Nazi." Ein Teilnehmer über die Widersprüche des Menschen.

 

"Mich lassen diese Geschichten am Menschen zweifeln, weil es jetzt wieder so viele Parallelen gibt zu damals." Eine besorgte Teilnehmerin.

 

"Das Gleiche wie damals wird nicht mehr passieren, wir entwickeln Wissensstärke und Handlungsspielräume. Wir müssen aber darauf achten, dass auch der Mensch am unteren Ende der Hierarchie eine Welt hat, in der er gerne lebt. Wir dürfen nicht zulassen, dass jemandem strukturell und systematisch Gewalt angetan wird in unserer Gesellschaft. Wir müssen aufeinander zugehen und die Mitte stärken. Gewaltverzicht ist das wichtigste Credo. Demokratie müssen wir verteidigen." Christian Ehetreiber von der ARGE Jugend gegen Gewalt und Rassismus, der mit den Eisenerzer*innen im Rahmen des Lebensmarsches und darüber hinaus zusammenarbeitet.

 

"Es ist beides im Menschen angelegt. Die Aufgabe von uns und von Kultur ist es, das Positive zu stärken." Anita Niegelhell, Kulturvermittlerin Universalmuseum Joanneum

 

Darüber reden ist genauso wichtig wie das eigene zurücknehmen und zuhören – egal worum es geht. Im Stadtmuseum im Alten Rathaus fanden wir beide Eigenschaften vor. Es bietet den Rahmen und den Anstoß, über Ungesagtes, Verschwiegenes, Verdrängtes reden zu können und gehört zu werden. Nicht nur im Hinblick darauf nimmt das Museum eine relevante Rolle in der Gemeinschaft ein.