Die Ausstellung zum Projekt "Wer bist du: Steiermark?". Ein Interview mit der Kuratorin Alexandra Riewe
Elisabeth Schatz (E.S.): Was steckt hinter deinem Konzept des Ausstellungsdisplays. Gab es Änderungen? Was lag dir bei der Entwicklung besonders am Herzen und wer hat dich in der Umsetzung begleitet?
Alexandra Riewe (A.R.): Das Ausstellungskonzept hat sich aus Gründen der Barrierefreiheit und Ausstellungsästhetik sehr stark geändert. Ursprünglich waren Einzelpräsentationen der Exponate in teilverspiegelten Nischen angedacht – die Displays wären bereits im Haus gewesen. In gleichmäßigem Abstand positioniert, sollte so die Identitätsfrage in einem Spiegelkabinett in vielen Facetten reflektiert werden. Letztlich entschied man sich für eine einzige, aus Fichtenholz gezimmerte Ausstellungslandschaft, auf der alle Objekte versammelt sind.
Anna Schwinger (Ausstellungsgestaltung und Objekthandling) und Christoph Loidl (technische Ausstattung) von MIT LOIDL ODER CO. GRAZ schlugen vor, in die Mitte des Raumes eine Art kubistische Ausstellungslandschaft aus Fichtenholz zu stellen, in einem Stück, mit verschiedenen Plateaus und vertikalen Gehäusen oder Rückwänden für Screens und Farbausdrucke. Anna Schwinger setzt in ihrer subtilen Gestaltung auf "einfache" Materialien wie Holz, Karton und Loden – die Bezüge zur Steiermark sind gegeben, ohne sich plakativ in den Vordergrund zu drängen.
Auf dieser umschreitbaren "Insel" fanden alle Exponate mit einer kurzen Beschriftung Platz: Titel, Jahr und QR-Code. Über die QR-Codes kann man sich via YouTube-Kanal des Projekts des Museumsforums Steiermark (@WerbistduSteiermark) die Filminterviews auf das Smartphone holen und damit die engagierten Sammlungs- und Museumsarbeiter*innen einblenden. Von den Kärtchen ausstrahlend verweisen farbige Klebebänder auf die an den Wänden rundum angeordneten Informationstafeln. So sind die Exponate und die ausführlichere Information räumlich voneinander getrennt. Das ermöglicht einen freien und unbeeinflussten Blick auf die Ausstellungsstücke. Diese 50 sehr heterogenen Objekte werden ohne theoretische Überfrachtung unmittelbar in Szene gesetzt und wirken in ihrem Zusammenspiel bzw. in ihrem befremdlichen Zusammentreffen, wie es der Comte de Lautréamont mit einer den Surrealismus prägenden Metapher beschreibt: "Schön wie das zufällige Zusammentreffen einer Nähmaschine mit einem Regenschirm auf dem Seziertisch."
Work in Progress: Ausstellungsaufbau im Volkskundemuseum vor der Eröffnung am 24. April 2024, Fotos: UMJ/E. Schatz
E.S.: Einige der Objekte waren z. B. zu schwer für ihren Transport ins Grazer Volkskundemuseum am Paulustor und sind nun über Stellvertreter Teil der Ausstellung. Welche Lösungen hast du dafür gefunden?
A.R.: Es gab eine Reihe von Gründen, warum gewisse Exponate nicht im Volkskundemuseum gezeigt werden können. Einmal natürlich die Dimension, große Maschinen wie z. B. die Zwillingstandemfördermaschine (Bergbaumuseum Fohnsdorf) oder das Dampfgebläse (Hochofenmuseum Radwerk IV, Vordernberg) und Fahrzeuge wie der Schienenbus 5081.564 (Verein Erzbergbahn, Vordernberg) können nur an ihrem angestammten Ort besichtigt werden. Andere Exponate sind "Herzstücke" der jeweiligen Sammlungen und konnten aufgrund eigener wichtiger Ausstellungen nicht entlehnt werden, wie das Evangeliarium von Admont im Jubiläumsjahr 2024 oder das Fahrrad von Theodor Herzl (Literaturmuseum Altaussee), das gerade erst vom Jüdischen Museum in Wien nach Altaussee zurückgebracht wurde, um Teil von "Salzkammergut 2024 – Kulturhauptstadt Europas" zu werden. Für diese Exponate wurden als Stellvertreter die dazugehörigen Videos in die Ausstellungslandschaft integriert.
Eine besondere Ausnahme stellen die Exponate von drei Leihgebern dar: Die Gerichtstafel des Stadtrichters Niclas Strobel (Graz Museum), Schneppenkrug (Hengist-Museum, Wildon - aktuell im Archäologiemuseum in Schloss Eggenberg, Graz), Tragaltar "Anna lehrt Maria" (Diözesanmuseum Graz) sind im Original im jeweiligen Museum verblieben. Die drei Museen stellen aber Freikarten zur Verfügung, mit denen Besucher*innen der Ausstellung "Wer bist du: Steiermark?" die Originalobjekte des Projekts in den jeweiligen Museen kostenfrei besuchen können.
Plakate und Sujets zur Ausstellung "Wer bist du: Steiermark?", Fotos 2-4: UMJ
E.S.: Das Sujet zur Ausstellung sticht im öffentlichen Stadtraum positiv hervor. Was zeigt es und welche Bedeutung hat es für dich?
A.R.: Eine Krippenfigur und ein Zugfahrplan: Die beiden Sujets, die zur Plakatgestaltung verwendet wurden, durchmessen die Steiermark von Bad Aussee bis Mürzzuschlag und wecken damit auch einige mit diesen Landschaften verbundene Assoziationen.
Das romantische Ausseerland, in dem Erzherzog Johann der Postmeisterstochter begegnete und das für seine traditionsbewusste und authentische Erneuerung der Trachtenmode berühmt ist. Die Figur der anmutigen Sennerin, die ein besticktes Bündel am Kopf trägt, wurde von der Puppenkünstlerin Lilli Baitz geschaffen und ist Teil der Ausseer Trachtenkrippe, die man im Kammerhofmuseum Bad Aussee bewundern kann.
Mürzzuschlag gilt als Wiege des mitteleuropäischen Skisports. Im Wintersportmuseum Mürzzuschlag kann man die Pionierleistungen von Toni Schruf und Max Kleinoschegg nachverfolgen (Siegerpreis 1893, 1. Skiwettlaufen), im SÜDBAHN Museum Mürzzuschlag befindet man sich am Tor zum Weltkulturerbe der Semmeringbahn. Der Bau der Semmeringbahn ist ein einzigartiges Zeugnis hoher Ingenieurskunst, planerischer Verwegenheit und unverbrüchlichen Vertrauens in die technischen Innovationen der Zukunft: Die Bahn wurde gebaut, eine Lokomotive, die diese Steigung überwinden konnte, musste aber erst erfunden werden. Und sie wurde erfunden – rechtzeitig!
Aber es sind nicht nur schöne Geschichten, die die Vergangenheit geschrieben hat.
Beide Sujets haben auch eine Kehrseite, erinnern an die dunkle Zeit der Nazidiktatur: die heimatverbundene Ausseerin Lilli Baitz hatte jüdische Wurzeln und entzog sich der drohenden Deportation durch Selbstmord. Das Kursbuch aus dem SÜDBAHN Museum Mürzzuschlag mit den Fahrplänen und der Haltestelle Mürzzuschlag ist ein Fahrplan für Gefangenentransporte, die in den Tod führten. So sind die beiden auf dem Plakat vereinten Fotos Beispiele für die Symbolkraft, aber auch Ambivalenz der ausgestellten Exponate.
Kuratorinnenführung am Eröffnungsabend des 24. Aprils nach der Preisverleihung im Heimatsaal, Fotos: UMJ/E. Schatz
Ausstellungsansichten, Fotos: Universalmuseum Joanneum/J.J. Kucek
E.S.: Du legst farbliche Linien quer durch die Ausstellung, welche Themen widerspiegeln diese und was hat es damit auf sich?
A.R.: Es sind acht Farben und Themengruppen:
HELLGRÜN: FLORA UND FAUNA / NATUR-BILD / NATUR-SCHUTZ
DUNKELGRÜN: ALLTAG / ARBEITSLEBEN / ARBEITSGERÄT
GOLDGELB: BRAUCH UND GLAUBE / KUNST UND KUNSTHANDWERK
ORANGE: WERT UND WÄHRUNG / GELD UND GELTUNG / RANG UND NAMEN
PINK: GÖTTIN UND HEILIGE – WEIB UND DAME / FRAUENBILDER
ROT: HEIMAT – FREMDE – MIGRATION / GEGEN DAS VERGESSEN
SILBERGRAU: BAHN UND BERGBAU / TECHNIK UND FORTSCHRITT
BLAU: TOURISMUS UND ALPINISMUS / WINTERSPORT UND SOMMERFRISCHE
Die Farbcodes eröffnen eine Metaebene "Themen – Kategorien – Kontexte – Texte". In einer Broschüre werden Geschichten weitergesponnen, inhaltliche Beziehungen zwischen den Exponaten aufgezeigt und Persönlichkeiten vorgestellt, die in enger Verbindung zu den Ausstellungsstücken stehen.
Ihre gerahmten Porträts flankieren in der Ausstellung die Objekte: Die Puppenkünstlerin aus Bad Aussee, die Dachstein-Erstbesteiger, der "steirische Darwin", die Mürzzuschlager Skipioniere, die streitbare Burgfrau, der Feuilletonist und Begründer des Zionismus, der Radmeister von Vordernberg, die Retter- und Bewahrer*innen ausrangierter bäuerlicher Gerätschaft und noch andere mehr – ihre Namen sind in der Ausstellung zu lesen, ihre Geschichten zu entdecken.
Ausstellungsbroschüre SOMMERFRISCHE IM AUSSEERLAND. COVER-Collage: Theodor Herzl, 1901 auf dem Balkon des Hotels "Drei Könige" in Basel; Foto von Ephraim Moses Lilien und Postkartenausschnitt der Praunfalkgründe um 1900 in Bad Aussee.
Copyright: Alexandra Riewe
Grußkarte von 1897 aus dem aufstrebenden Kur- und Sommerfrischeort Aussee
Ende Juli 1897 erlebt Theodor Herzl das Hochwasser in Aussee mit, das er mit spitzer Feder in seinem Feuilleton für die Wiener Presse beschreibt. Ein Monat später ist er in Basel, auf dem ersten Zionistenkongress, wo er erstmals die Forderung eines völkerrechtlich legalisierten Judenstaats in Palästina aufstellt. Copyright: Alexandra Riewe
E.S.: Du hast die Exponate in der Ausstellung um weitere Ebenen wie historische Anekdoten erweitert. Worauf können sich die Besucher*innen freuen?
A.R.: Die Ausstellung ist interessant und unterhaltsam. Im Projekt des Museumsforums Steiermark geht es um Geschichte und Geschichten. Es ist eine kurios erscheinende Ansammlung von Gegenständen. Manche haben vielsilbige Namen, die allein schon wie eine Geschichte anmuten: Zwillingstandemfördermaschine, Spazierstockblockflöte oder Zigarettenstopfmaschine. Andere sind möglicherweise Fabeltiere wie die Ölkuh oder der Grablöwe. Manches erscheint lapidar wie ein Plastikkanister, ein Stück Eisen oder Spiegelscherben, manches ist wortwörtlich lapidar, also steinern, wie das Fragment der Handdrehmühle oder die Millionen Jahre alten Pflanzenabdrücke. Manche sehen vielleicht harmlos aus, sind aber umgeben von einer Aura des Verbrechens, wie die drei zerschlissenen Schuhe und das alte Kursbuch mit Fahrplänen. So könnte man als Liebhaber von Krimis diese Ausstellung auch "Asservatenkammer" nennen, lieber ist mir aber die althergebrachte Bezeichnung "Wunderkammer".
Wer bist du: Steiermark? Wie hast du dein Brot gebacken? Der sogenannte "Läuferstein" und der "Multer" sind Nachbarn in der Ausstellung. Beide vielleicht nicht sonderlich aufregend, ein zurechtgehauener Stein mit einem Loch in der Mitte und ein flacher Trog, der offensichtlich in einem Stück aus Holz geschnitzt wurde. Es liegt viel Zeit zwischen diesen beiden Alltagsgegenständen, etwa 1.700 Jahre. Der Stein gehörte zu einer römerzeitlichen Handdrehmühle, mit ihm wurde Korn gemahlen. Der Multer aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts wurde zum Kneten des Teiges verwendet. Dass diese beiden Objekte erhalten wurden, überhaupt als erhaltungswürdig erkannt wurden, ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Findern und Experten.
Zwei der goldgerahmten Porträts, die den Exponaten zugeordnet sind, zeigen Sammler*innen: Leopoldine Thaller (mit Anni Gamerith) und Walter Hermann (mit seiner Frau Paula Hermann). Beide haben in einer Zeit, in der viel traditionelles Arbeitsgerät aufgrund der allgemeinen Technisierung ausrangiert und weggeworfen wurde, den immateriellen Wert dieser Gegenstände erkannt, sie erhalten und gesammelt.
"Sammeln ist zum hohen Ziel der erste Schritt", schreibt Erzherzog Johann in dem Aufruf der Kurrende vom 10. September 1811, mit der sämtliche Werbebezirke der Steiermark und Kärntens aufgefordert wurden, zur Förderung der Vaterlandsliebe durch Einsendung von Archivalien an das neu gegründete Joanneum in Graz beizutragen. Er zitiert einen antiken Staatsmann: "Es ist schmählich, im eigenen Vaterlande ein Fremdling zu seyn."
Und auch wir wandeln auf Erzherzog Johanns Spuren, wenn wir – auch weit unpathetischer – fragen: "Wer bist du: Steiermark?".
Wir hoffen, wir konnten Sie neugierig machen und freuen uns auf Sie in der Ausstellung zum Projekt "Wer bist du: Steiermark?" im Grazer Volkskundemuseum am Paulustor!
Marko Mele (wissenschftl. Direktor UMJ), Elisabeth Schlögl (Leiterin des Museumsforums), Alexandra Riewe (Kuratorin), Landeshauptmann Christopher Drexler, Claudia Unger (Leiterin Volkskundemuseum), Josef Schrammel (kaufmänn. Direktor UMJ), v.l. Foto: Universalmuseum Joanneum/J.J. Kucek