Unterwegs in Freud und Leid mit der Eisenbahn
Dank einer Top-Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz kann man Mürzzuschlag auch ohne Auto bequem erreichen. Zugegeben: Die Anreise aus nördlicher Richtung über den Semmering ist die spektakulärere. Wer aber die vorbeiziehende Landschaft aufmerksam betrachtet, findet auch aus südlicher Richtung kommend Orte, die neugierig machen und besichtigt werden wollen.
Nicht nur für Bahninteressierte ist diese Stadt von Interesse. Von den drei Mürzzuschlager Museen sind gleich zwei Teil des Projektes "Wer bist du: Steiermark?": Das WinterSportMuseum Mürzzuschlag und das Südbahnmuseum Mürzzuschlag haben mit ihren besonderen Geschichten die Jury überzeugt. Beginnen wir mit der heiteren.
Die gute Schneelage rund um den Semmering macht die Region zu einer beliebten Wintersportdestination. Das war aber nicht immer so, denn erst die Etablierung von Freizeit für eine breitere Bevölkerungsschicht und dementsprechend auch die Entwicklung von Freizeit und Freizeitaktivitäten brachten den Wintertourismus mit sich. Ob in diesem Zusammenhang die Bezeichnung "Winterfrische" passend wäre? Warm war es sicherlich nicht, als an einem denkwürdigen Tag im Dezember 1893 der mutige Norweger Bismark Samson auf der Wasserleitungswiese sechs Meter weit über einen schneebedeckten, gefrorenen Misthaufen sprang. Damals war das ein spektakuläres Ereignis, das zum Ausgangspunkt für die Entwicklung Österreichs zur Skination wurde! Die Geschichte zum Siegerpreis vom ersten Skiwettlauf Mitteleuropas 1893 können Sie hier nachlesen und dabei weitere spannende Einblicke in die Entwicklung des heute in Österreich und der Steiermark so bedeutenden Sportes erfahren. Hier finden Sie das Video.
"Das WinterSportMuseum Mürzzuschlag", erzählt die begeisterte Museumsleiterin Barbara Habermann, "ist als Kompetenzzentrum für Ski- und Wintersport eine gute Adresse für all jene, die sich für die Geschichte rund ums Thema interessieren". Das Museum ist das erste, größte und eines der bedeutendsten Wintersportmuseen der Welt. Die vielen Superlative verwundern nicht in Anbetracht der beachtlichen Sammlung wintersporthistorischer Exponate, über die das Museum verfügt. Die Gründung des Museums wurde zwar "erst" 1947 beschlossen, die Errichtung des Museums steht aber in Verbindung mit den Geschehnissen gegen Ende des 19. Jahrhunderts: Zwei Schneepioniere – der Grazer Max Kleinoscheg und der Mürzzuschlager Gastwirt Toni Schruf – setzten damals wegweisende Impulse für Wirtschaft und Tourismus: Sie gründeten gemeinsam mit Walter Wenderich den "Verband steirischer Skiläufer" und ein Lawinenunglück war der Anlass zur Gründung eines alpinen Rettungsausschusses als Verein – ein Vorläufer der österreichischen Bergrettung. Vor allem richteten die Herren Kleinoscheg und Schruf damals aber eine erste Internationale Wintersportausstellung aus!
Foto: UMJ/B. Schönhart
Die Eisenbahn brachte jedoch nicht immer nur heitere Gäste in die Stadt. Die Bahn war ein wesentlicher Faktor im Kriegswesen, sie beförderte Mensch und Material – Material an die Fronten der jeweiligen Feldzüge und Menschen als Kriegsgefangene, zur Deportation. In Zahlen: Rund 120.000 Menschen wurden mit der Eisenbahn über den Semmering gebracht. Das Südbahnmuseum Mürzzuschlag ist heute in ehemaligen Werkstättenhallen untergebracht, in denen während des Kriegs vornehmlich russische Kriegsgefangene Zwangsarbeit verrichteten.
Mit dem Kursbuch für Gefangenenwagen nimmt eine Geschichte am Projekt "Wer bist du: Steiermark?" teil, die diese Schattenseite des innovativen Fortbewegungsmittels darstellt: Fein säuberlich sind hier alle Zugverbindungen aufgelistet, mit denen im Zweiten Weltkrieg Kriegsgefangene auf der Südbahnstrecke zwischen Wien, Klagenfurt und Marburg/Maribor über den Semmering transportiert wurden. Das Kursbuch wurde im Juli 1944 von der Deutschen Reichsbahn herausgegeben und führt den fahrplanmäßigen Halt der Züge in Mürzzuschlag an. Hier finden Sie das Video.
Wer sich also für Eisenbahn und Kultur interessiert, ist hier in der Eisenbahnerlebniswelt im Südbahnmuseum goldrichtig: Die beiden historischen Lokomotivhallen mit ihrer Vielzahl an historischen Objekten machen einen wichtigen Teil österreichischer Technik- und Architekturgeschichte erlebbar. Der Besuch lässt sich übrigens an bestimmten Tagen auch mit einer nostalgischen Fahrt im Dampfsonderzug kombinieren. Der nächste Dampfer kommt am 8. und 9. Juni 2024 über den Semmering nach Mürzzuschlag!
Mürzzuschlag liegt am südlichen Endpunkt der Südbahn, der Semmeringbahn. Die Semmeringeisenbahn wurde aufgrund der visionären Konstruktionen des Carl Ritter von Ghega zum UNESCO-Weltkulturerbe erhoben und zählt zu den bedeutendsten Kulturschätzen der Welt. Carl Ghega schloss übrigens mit 17 Jahren (!) sein Mathematikstudium mit einem Doktorat ab.
Schon 1825 dachte der "steirische Prinz" Erzherzog Johann in Sachen Verkehr gesamteuropäisch und unterstützte den Gedanken einer transkontinentalen Eisenbahn von Hamburg bis nach Triest, was der Hauptstrecke Wien–Triest früher sogar den Namen "Erzherzog-Johann-Bahn" einbrachte.
Heuer vor 180 Jahren wurde die erste k. k. Staatseisenbahnstrecke der Steiermark zwischen Graz und Mürzzuschlag eröffnet, was Mürzzuschlag zu einem der ältesten Eisenbahnorte Österreichs macht. Und mit dem Großprojekt Semmering-Basistunnel als "Tor nach Europa" geht die Entwicklung auch in Richtung Nachhaltigkeit und Klimaschutz auf der Südbahnstrecke voran.
Im Jubiläumsjahr 2024 ist sowieso Feiern angesagt: Das Südbahnmuseum wird 20, die Semmeringbahn 170 und die Strecke Graz–Mürzzuschlag 180 Jahre alt.
Wir gratulieren herzlichst!
Foto: UMJ/B. Schönhart