25 | 10 | 2023
Barbara Schönhart

Wenn das Ferne liegt so nah

Wildon – eine Drehscheibe der Kulturen. Das erfahren wir im Hengist-Museum im Schloss Wildon. Ein ungelöster Fall erwartet uns in der Zinnsammlung Dr. Karl Ruhmann. In beiden Fällen hören wir von Menschen und Exponaten, die von anderswo kommen und dennoch steirische Geschichte in sich tragen.

Der Wildoner Schlossberg ist schon seit über 6.500 Jahren besiedelt. Das verwundert nicht, denn so mächtig, wie dieser Berg mit seinen 450 m Seehöhe aus der Landschaft ragt, so weit kann man von hier aus auch über das Land blicken. Strategisch mehr als günstig!

Zahlreiche archäologische Funde belegen die Ansiedelung unterschiedlicher Kulturen und zeugen von einem blühenden Handelswesen. Hier, wo die Kainach in die Mur mündet, kreuzten sich viele Wege. Archäologische Funde belegen, dass dies kein Ort der Ab- oder Ausgrenzung war. Menschen unterschiedlicher Kulturen, deren Ursprung bzw. Hauptsiedlungsorte anderswo in Europa lagen, konnten hier Fuß fassen. Der Schneppenkrug ist ein solches Exponat. Er ist von einer ausgesprochen schönen Form und die Verzierung zeugt von der Kunstfertigkeit lokaler Töpfer*innen. Für kulinarische Zwecke war der Krug vermutlich nicht bestimmt. Vergleichsfunde legen deren Verwendung für rituelle Zwecke bzw. Bestattungen nahe. Die Gestaltungsform verweist auf die Laugen-Melauner Kulturgruppe mit ihrem Kerngebiet in Südtirol-Trentino, Teilen der Ostschweiz und Osttirol. Und dennoch: Es ist keine Importware! Die Keramik wurde hier produziert! Das und vieles mehr erzählt uns Christoph Gutjahr. Er ist Archäologe und Althistoriker und als Mitarbeiter im Verein Kulturpark Hengist u. a. für die wissenschaftliche Leitung der archäologischen Grabungen zuständig.

Im Hengist-Museum am Schlossberg von Wildon – betrieben vom Verein Kulturpark Hengist – fühlt man sich wie auf einer Zeitreise. Bei zahlreichen archäologischen Grabungen wurden bemerkenswerte Stücke geborgen. Von der Urgeschichte über die Römer bis ins Mittelalter – hier kann man tief in die regionale Geschichte eintauchen. Und es wird weiter gegraben … Fantastisch, was der Verein leistet!

Leider bleibt keine Zeit, den Schlossberg genauer unter die Lupe zu nehmen. Hier ließe sich so einiges entdecken. Lassen Sie sich das bei Ihrem Besuch nicht entgehen! Für uns fängt die Drohne diesen magischen Ort ein und wir können dank dieser Technik weit über das Land blicken. Schauen Sie selbst!  Hier geht es zum Video.

Fotos: UMJ/B. Schönhart

 

Wir packen das Equipment zusammen und fahren weiter. Sechs Minuten später erreichen wir unser Ziel. Natürlich kommen wir wegen der Film- und Fotoaufnahmen in die Zinnsammlung Dr. Karl Ruhmann. Dennoch fühlt es sich wie ein Besuch bei einem lieben Bekannten an. Elmar Schneider öffnet die Tür zum Museum. Es ist jedes Mal eine Freude, mit diesem herzlichen und humorvollen Menschen zu sprechen – und Geschichten erzählen, das kann er.

Elmar wohnt Tür an Tür mit dem Museum. Er kannte die Witwe des Papierfabrikanten Dr. Karl Ruhmann, Katharina Ruhmann-Hofer, persönlich. Sie wollte, dass das Lebenswerk ihres Mannes in Erinnerung bleibt, hat nach seinem Tod ein Museum eingerichtet und dieses samt dem Anwesen – der sogenannten Trattenmühle – in eine Stiftung überführt. Das ist ein Teil der Geschichte.

Die andere Geschichte spielt sich im preußischen Königreich Friedrichs des Großen ab. Ein gewisser Freiherr Friedrich von der Trenck (1727–1794) wurde ins Verlies geworfen. Weshalb, darüber gibt es nur Spekulationen. Irgendwie kam er auf die Idee, in seine zinnernen Trinkbecher zu ritzen. Das weiche Material eignet sich dazu bestens. Karl Ruhmann konnte zwei dieser wertvollen, sogenannten Trenck-Becher ankaufen und hat nach dem Zweiten Weltkrieg, der Enteignung durch die Nationalsozialisten, einer spektakulären Flucht und seiner Rückkehr aus der Schweiz nur einen Becher restituiert bekommen. Was mit dem zweiten Stück geschah, liegt im Dunkeln. Aber zurück zu unserem Trenck: Er hatte einen sehr reichen österreichischen Verwandten, dessen Erbe auf ihn übergehen sollte. Das half ihm schließlich auch, sich freizukaufen – auch Maria Theresia hat davon profitiert. Der Krimi geht weiter, aber das müssen Sie selbst recherchieren.

So steckt in einem Zinnbecher aus Preußen auch steirische Geschichte. Der Becher steht für einen leidenschaftlichen Sammler, dessen Vermögen durch das Papierunternehmen seiner Familie den Aufbau einer so wertvollen Sammlung erst ermöglichte. Sie gilt als die größte private Zinnsammlung Europas – die Objekte stammen aus dem 12. bis 19. Jahrhundert.  Dieser Becher hat indirekt auch eine Verbindung in mehrere steirische Regionen: In Wildon lebte Karl Ruhmann zuletzt und betrieb hier eine Bierdeckelfabrik – beides am Gelände der Trattenmühle. In der Umgebung von Übelbach, rund um in St. Michael in der Obersteiermark und im Raum Voitsberg gab es Papier-, Pappen- und Zellulosefabriken sowie Holzschleifereien.

Eine vielschichtige Geschichte!

Fotos: UMJ/B. Schönhart