Gerichtstafel des Stadtrichters Niclas Strobel
Die auf das Jahr 1478 datierte Gerichtstafel erzählt zweierlei: Einerseits ist es eines der ältesten Bilddokumente in Europa, das auf die städtische Rechtsautonomie repliziert, indem der Grazer Stadtrichter Niclas Strobel bei seiner Amtsausübung zeigt wird. Die in der profanen Erzählebene dargestellte Gerichtszene gibt Auskunft über den Stellenwert und das Ansehen, das Niclas Strobel im Amt des Stadtrichters, des städtischen Höchstamts, auf sich vereint. Unter seinem Vorsitz vereidigt ein Gerichtsdiener – gekennzeichnet mit Stab und Schwert – eine Zeugin, während die Schöffen das Urteil diskutieren. Die Gerichtstafel ist demnach ein Zeugnis eines wachsenden bürgerlichen und städtischen Selbstbewusstseins in Graz, das seine eigenständige Jurisdiktion seit dem frühen 13. Jahrhundert ausüben konnte. Niclas Strobel, der das Werk in Auftrag gab, gehörte der Zunft der Fleischer an, die zu den einflussreichsten Grazer Zünften zählte. Andererseits verweist die sakrale Erzählebene auf das Himmlische Gericht. Im Zentrum ist Christus als Weltenrichter ("Majestas Domini") abgebildet, der mit Maria und Johannes dem Täufer eine Dreieckskomposition bildet. Jenseits der zwölf Apostel und der Posaunen blasenden Engel wird das Himmlische Gericht vollzogen: Menschen legen Rechenschaft ab und werden in Erlöste und Verdammte aufgeteilt. Damit wird auf das spätmittelalterliche religiöse Weltbild verwiesen, in dem sich alle Menschen nach dem Tod vor Gott zu verantworten haben.
Das Objekt entstand im Kontext einer im Herzogtum Steiermark gegenüber Landesfürst und Landschaft zunehmend selbstsicher auftretenden Stadt und seiner Bürger. Es stellt also für die Emanzipation der Kommunen von der herrschaftlichen Gewalt in der Steiermark ein wesentliches Zeugnis dar: Die selbstsichere Darstellung der Rechtsprechung in Verbindung mit dem Himmlischen Gericht leitet die Rechtsprechung eher vom göttlichen Willen denn von der Gnade des Landesfürsten ab.